Wer bist du und was machst du genau?
Ich bin Rainer Przygoda, einer der Obstbaumwarte im Rhein-Sieg-Kreis. 2016/17 habe ich an einer Ausbildung des Kreises teilgenommen. Eine Teilnehmerin hat das damals treffend zusammengefasst: „Wir haben in unseren 70 Stunden, verteilt auf neun Tage über ein Dreivierteljahr, nur an der Oberfläche gekratzt.“
Wie bist du zur Obstbaumpflege gekommen?
Das war genau über diesen Kurs. Eine gute Bekannte hat mich auf die Ausbildung aufmerksam gemacht. Sie musste drei Mal nachhaken, bis ich mich schließlich angemeldet habe. Danach habe ich mich immer weiter hineingesteigert und es wurde eine echte Leidenschaft daraus.
Wie sieht ein typischer Tag oder Pflegeeinsatz bei dir aus?
Pflegeeinsätze bedeuten: raus auf die Wiese, einen oder zwei Bäume pflegen. Besonders spannend finde ich aber meine Tage mit Schnittkursen, die ich im Frühjahr und Winter gebe. Die starten immer erst um 10 Uhr – damit alle vorher gut gefrühstückt haben, ich eingeschlossen. Dann heißt es: warm anziehen, weil man sich beim Lernen wenig bewegt. Nach vier bis sechs Stunden bei nur fünf Grad plus oder sogar minus zwei Grad kann es auf der Obstwiese schon ziemlich kalt werden.
Warum ist Obstbaumpflege überhaupt wichtig?
Wir sprechen hier von Kulturobst – also Bäumen, die gezüchtet wurden, um viele schwere Früchte zu tragen. Damit die Bäume diese Last auch halten können, müssen sie vor allem in der Jugendphase, also den ersten zehn bis fünfzehn Jahren, regelmäßig geschnitten werden. Über den Schnitt wird ein stabiles Kronengerüst aufgebaut, das die Fruchtlast später sicher tragen kann.
Welche Rolle spielen alte Obstbaumsorten für den Naturschutz?
Streuobstwiesen mit großen, alten Bäumen bieten eine enorme Vielfalt an Klimazonen und Lebensräumen. Unter einem großkronigen Baum herrscht Schatten und Verdunstung, es ist kühler. Zwischen den Bäumen gibt es sonnige, heiße Zonen. An Bäumen mit viel Holzmasse und dicken Stämmen entstehen in Ausbrüchen oder Hohlstellen ebenfalls spezielle Lebensräume.
Außerdem gilt: Vor 500 Jahren gab es keine Pflanzenschutzmittel, und trotzdem haben diese alten Sorten die Menschen über den Winter gebracht. Sie wurden auf Zuverlässigkeit und Gesundheit ausgewählt, nicht nur auf Geschmack. Genau diese genetische Vielfalt und Widerstandskraft fehlt in vielen heutigen Züchtungen.
Was kann man tun, um selbst Obstbäume zu schützen?
Es wäre schön, wenn wieder mehr Menschen Obstbäume in ihren Gärten oder Kleingärten pflanzen. Dabei ist wichtig: Ich kann die Größe eines Baumes nicht durch Schnittmaßnahmen begrenzen. Schnitt regt immer Wachstum an. Ich muss also schon bei der Pflanzung überlegen, wie viel Platz ich habe. Für große Bäume mit bis zu zehn Metern Kronendurchmesser eignet sich ein Hochstamm. Wer nur vier bis sechs Meter Platz hat, wählt in der Baumschule eine kleinere Wurzelunterlage.
Den eigenen Baum sollte man selbst schneiden – dafür lohnt es sich, einen Schnittkurs zu besuchen. Wer die Wuchs- und Schnittgesetze versteht, lernt, dass Baumpflege immer ein Dialog ist: Ich schneide, der Baum antwortet, indem er wächst. So entwickelt man ein Gefühl dafür, was dem Baum guttut.
Wichtig: Keine massiven, radikalen Schnitte! Wenn ein Baum jahrzehntelang nicht gepflegt wurde, sollte man die Pflege langsam über mehrere Jahre aufbauen. Nur so gelingt eine Verjüngung: altes Holz wird allmählich reduziert, junges Holz wächst nach. Wer mit der Kettensäge anrückt und Äste amputiert, richtet mehr Schaden als Nutzen an. Ich sage immer: Wer mit der Kettensäge auf meinem Grundstück auftaucht, wird weggeschickt. So funktioniert Obstbaumpflege nicht.
Interview: Silvia Pérez